Sisyphos

Ich. Bin. Müde.

Seit einer Woche habe ich keine Nacht mehr ein- oder durchschlafen können. Es klappt einfach nicht. Zu viele Gedanken im Kopf, zuviel Traurigkeit im Herzen.

Aber selbst wenn irgendwann wieder bessere Nächte kommen sollten, die Müdigkeit steckt mir in den Knochen. Gerade ist es mein Leben, das mich müde macht. Alltagsmüde.

Seit über sechs Jahren, von Anfang an, lebe ich alleine mit meinem Kind, erziehe ich größtenteils alleine. Sechs Jahre alleine Entscheidungen treffen, Küsse geben, Tränen trocknen, Brote schmieren, Nägel schneiden, zur Eile antreiben, Kleider am Vorabend bereitlegen, Elternabende besuchen, Geschichten vorlesen,Kinderbetreuung organisieren, Haare kämmen, Arzttermine vereinbaren, neue Schuhe kaufen, Fieberzäpfchen geben und und und.

„Nebenbei“ in zwei Arbeitsgebieten arbeiten, fortbilden, Wände streichen, Lebensmittel einkaufen, Auto zur Werkstatt bringen, Umgang mit dem Ex regeln, Wäsche waschen, Freizeitaktivitäten des Kindes organisieren, streiten, vertragen, Steuererklärung machen, Möbel aufbauen.

Jaaaaaa, sagt ihr, ich höre es schon. ICH mach das ja auch größtenteils alleine. MEIN Mann ist ja auch fast nie da. Und du hast ja nur ein Kind.

Ja, sage ich. Ganz recht. Ich habe nur ein Kind. Leider. Viel lieber hätte ich zwei oder drei gehabt. Und mich über viel zu viel Wäsche, durchstillte Nächte und manchmal vielleicht über einen zu lange arbeitenden Mann geärgert.

Meine Nächte sind nicht kurz, weil ein Baby weint. Meine Nächte sind kurz, weil es oft schon weit nach 22 Uhr ist, wenn ich es schaffe, mich hinzusetzen und „Feierabend“ zu machen. Oder weil ich nicht schlafen kann, wenn im Bett die Gedanken kreisen. Über die Betreuung meines zukünftigen Schulkindes im nächsten Jahr, weil immer noch keine Zusage für die Kernzeitbetreuung kam. Darüber, ob das nun die nächsten zehn Jahre so weiter geht. Darüber, dass wieder eine neue Woche beginnt und ich auch nach dem Wochenende noch so müde bin. Darüber, was aus meinem Kind würde, wenn mir etwas passiert. Darüber, wann um alles in der Welt ich meinen größeren Zahnarzttermin wahrnehmen soll, ohne bei der Arbeit zu fehlen oder wieder jemanden fragen zu müssen, ob er auf mein Kind aufpassen kann.

Nein, ich muss mich nicht über einen Mann ärgern, der zu lange arbeitet. Weil keiner da ist. In diesem Haushalt arbeite ich, um meine Familie zu versorgen. Ich ärgere mich höchstens über mich selbst, wenn mir morgens einfällt, dass ich am Vorabend vergessen habe, die Vesperbox des Kindes zu richten. Oder wenn ich unter der Woche abends noch lange am Schreibtisch sitze, um zu arbeiten, obwohl ich am kinderfreien Wochenende zuvor so viel Zeit gehabt hätte. Aber an diesen Tagen verdammt noch mal viel zu müde und gelähmt war, um mehr zu schaffen, als den überfälligen Haushalt.

Ich ärgere mich darüber, wenn ich wieder zu viel Wein trinke abends, wenn das Kind im Bett ist. Oder zu viel Eis und Schokolade esse, um irgendwie die Leere zu füllen, die an manchen dieser Abende entsteht. Weil es gar nicht schlimm ist, alleine zu sein. Nur die Aussicht, es immer weiter zu sein, so verdamt viel Angst macht.

Ich bin traurig, weil das Anstrengende an diesem „Kind-alleine-großzieh-Ding“ nicht ist, dass man die Alltagspflichten mit niemandem teilen kann. Sondern dass niemand da ist, mit dem man die Alltagssorgen teilt. Bei dem man schwach sein darf. Weil man selbst immer der Fels in der Brandung sein muss, auch wenn man sich gerade wie ein Stück Treibholz fühlt.

Und weil ich manchmal an diesen Abenden denke: „So hast du dir dein Leben nicht vorgestellt. Und genau so wird es jetzt immer weiter gehen.“ Und diese Aussicht macht verdammt müde.

Ich bin müde. Und schlafen kann ich trotzdem nicht.